Warum die BAO mehr als nur ein Quick-Win für die Praxis bereithält und warum uns gerade das Verfahrensrecht in der Zukunft noch mehr beschäftigen wird, erklärt Prokurist Dr. Clemens Endfellner LL.M., WP/StB im Gespräch mit dem WT.
WT: Lieber Clemens, Du bist ja riesig vielseitig, neben Deiner sehr anspruchsvollen Beratertätigkeit hältst Du viele Vorträge, verfasst sehr viele Fachartikel, unter anderem auch hier beim WT mit dem „Streifzug durch die höchstgerichtliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs und Bundesfinanzgerichts“. Wie bringst du das alles neben Deiner Tätigkeit in der Steuerberatung unter einen Hut?
Wahrscheinlich kann ich schlecht „Nein“ sagen! Wenn ich gefragt werde, im Bereich Steuerrecht vorzutragen oder zu publizieren, überlege ich mir gerne etwas und sage meistens zu. Es tut sich bei uns auch immer etwas Neues.
WT: Stichwort Publizieren: Dein neuestes Buchprojekt ist das mittlerweile in vierter Auflage erschienene Praxishandbuch „BAO/Bundesabgabenordnung – Von der Steuererklärung bis zur VwGHRevision“, welches Du gemeinsam mit Co-Autor Martin Puchinger herausgibst. Kannst Du uns ein wenig darüber berichten?
Wie kam es zu diesem Projekt? Wie schaffst Du es, das Handbuch über so viele Jahre immer aktuell zu halten?
Vor ungefähr 15 Jahren ist die Idee aufgetaucht, ein Praktikerhandbuch zur Bundesabgabeordnung zu verfassen. Damals war die Literaturlandschaft noch ein bisschen anders als sie heute ist, es gab nicht so viel Literatur zum Thema BAO wie heute und wir konnten daher den Verlag gleich für das Projekt begeistern, ebenso die beteiligten Autor:innen, die im Wesentlichen in derselben Zusammensetzung auch heute noch für die mittlerweile vierte Auflage verantwortlich zeichnen. Das Praktikerhandbuch BAO soll vor allem eine Hilfestellung für den Kanzleialltag sein und deckt verfahrensrechtlich ein breites Feld ab: Vom richtigen Formular über das Beantragen einer Steuernummer, bis zu den verschiedenen Rechtsmitteln und sonstigen Maßnahmen hin bis zur VWGH-Revision stellen wir alle Bereiche der Bundesabgabenordnung, mit denen die Kolleg:innen im Alltag zu tun haben, mit vielen Beispielen und praktischen Tipps kompakt dar. Es wird also jener Querschnitt aus der Bundesabgabeordnung im Buch behandelt, den Praktiker brauchen.
WT: Was macht die Beschäftigung mit der BAO aus Deiner Sicht so wichtig für den Arbeitsalltag des Steuerberaters, der Steuerberaterin? Verfahrensrecht ist oft ein Stiefkind in der Ausbildung, doch oft entscheidet sich ein Verfahren nicht über das materielle Recht, sondern man gewinnt das Verfahren durch profunde Kenntnis der BAO. Wie siehst Du das aus Deiner Erfahrung?
Ja, das kann ich bestätigen. Der wunde Punkt ganz generell – und natürlich speziell auch bei Betriebsprüfungen und im Nachgang bei allfälligen Rechtsmittelverfahren – ist oft nicht das materielle Steuerrecht, in diesem Bereich sind die Kolleg:innen sehr gut ausgebildet und das interessiert sie auch. Der wunde Punkt ist oft die BAO beziehungsweise die Verfahrensrechte generell. Es lohnt sich daher, in diesem Bereich profunde Kenntnisse zu erlernen und up to date zu halten. Als Vortragender weiß ich allerdings auch, dass es schwierig ist, meine Begeisterung für die BAO auf die Zuhörer:innen zu übertragen. Man fängt beim Paragraf 1 an und aufgrund der Materie kann es sein, dass man die Zuhörer:innen bei Paragraf 5 schon verloren hat. Da hat man als Vortragender ein bisschen einen Nachteil gegenüber den Kolleg:innen, die das materielle Steuerrecht vortragen, da bleiben alle bis zuletzt am Ball … Ich darf an dieser Stelle daher eine Lanze für die Verfahrensrechte brechen – diese sind nicht nur sehr wichtig für unsere Berufsausübung, sondern es ergeben sich sehr interessante Rechtsprobleme, wenn man erst ein wenig tiefer in die Materie eintaucht!
WT: Welche Quick Wins kann man mit einer guten Kenntnis der BAO in der Praxis erzielen?
In der Praxis werden erstinstanzlich häufig pragmatische Lösungen gefunden – bei denen das Verfahrensrecht auf beiden Seiten – also auf Seiten der Finanzverwaltung und auf Seiten der beratenden Kolleg:innen – nicht immer im Vordergrund steht. Doch in jenen Fällen, bei denen es „in die zweite Runde“, also ins Rechtsmittel geht, müssen sich unsere Mandant:innen darauf verlassen können, dass wir verfahrensrechtlich keine Fehler machen, die unter Umständen zu einem Rechtsverlust führen könnten. Je komplexer der Fall und das Rechtsmittel, desto mehr rückt die „Spielwiese“ der BAO in den Vordergrund. Es ist ein bisschen wie beim Fußball: Man kann ein guter Fußballer sein mit Zug zum Tor, doch sollte man trotzdem die Regeln gut kennen. Das ist auch der Fokus des Praktikerhandbuchs BAO: Die Regeln, die wir wirklich gut kennen sollten, sind abgebildet und mit Beispielen dargestellt.
WT: Welche nächsten Buchprojekte sind auf deiner To-do-Liste?
Der nächste Punkt auf der To-do-Liste ist die Aktualisierung des „Gebührengesetzes kompakt“ – ebenfalls ein Projekt, das mich bereits mehr als 20 Jahre begleitet.
WT: Ich darf zu einem ganz anderen Thema umschwenken. Derzeit ist die Digitalisierung unseres Berufsstandes in aller Munde. Was ist Deine Meinung dazu? Wohin wird sich Deiner Meinung nach die Branche entwickeln? Welche Chancen, welche Risken siehst Du für die Steuerberater:innen bzw. für die Wirtschaftsprüfer:innen? Das wird aus meiner Sicht doch gerade auch die BAO sehr intensiv tangieren, wenn wir beispielsweise überlegen, wie Betriebsprüfungen funktionieren werden, wenn pro futuro standardisiert KI seitens der Finanzverwaltung zum Einsatz kommt?
Ja, das wird sicher ein entsprechend komplexes Thema werden. Wir haben überlegt, ob wir bereits in dieser Auflage zum Praktikerhandbuch BAO ein eigenes Kapitel zu KI und Verfahrensrecht mit aufnehmen sollen. Wir waren dann aber der Meinung, dass die Materie derzeit noch zu unausgegoren ist, um fundierte Problemaufrisse und Lösungsvorschläge darzustellen. Zu viel ist derzeit noch in der Schwebe, die verschiedenen Tools werden noch zaghaft in der Praxis eingesetzt, Standards müssen sich erst noch entwickeln. Early Adopters sind natürlich schon mit dem Thema KI vertraut, in der Breite werden sich in den nächsten Monaten und Jahren Standardanwendungen herauskristallisieren, die dann natürlich auch im Verfahrensrecht und im materiellen Recht neue spannende Fragen aufwerfen werden. Langweilig wird das Steuerrecht also auch in Zukunft nicht!
WT: Welche sind aus Deiner Sicht die größten Herausforderungen in diesem Zusammenhang, die auf uns zukommen werden?
Einerseits müssen wir aufpassen, dass wir jene Steuerpflichtigen, die nicht so technikaffin sind und die nicht steuerlich vertreten sind, am Weg nicht verlieren. Auch für jene müssen wir gewährleisten, dass sie den Zugang zum Recht nicht faktisch ob der immer größeren Komplexität und Technologisierung verlieren. Was spezifisch die KI-Modelle betrifft, die in Zukunft zum Einsatz kommen werden, stehen wir sicher vor der Herausforderung, die Quellen und die Entscheidungsgrundlagen der Modelle im Sinne der Rechtsstaatlichkeit überprüfen zu können. Ich denke, wenn wir sehen, wohin die Reise technisch geht, werden wir besser einschätzen können, was das Thema KI tatsächlich für unseren Berufsalltag heißt.
WT: Clemens, Du bist natürlich auch wieder in Seefeld bei unserer großen VWT Fachtagung mit dabei. Was erwartet uns diesmal?
Ja, natürlich bin ich wieder mit an Bord – Seefeld ist eine wirklich schöne Veranstaltung. Wir sind gerade dabei, das Programm zusammenzustellen und die Vortragenden anzufragen. Ich darf aber verraten, dass Univ.-Prof. Dr. Hirschler und Hofrätin Dr. Lachmayer wieder mit an Bord sind – es gibt also eine feste Mann- bzw Frauschaft, worüber wir uns natürlich sehr freuen. Und heuer kommt auch Sektionschef DDr. Mayr wieder in sein Heimatland. Diese Kontinuität macht einen Teil des Erfolges von Seefeld aus.
WT: Und Du wirst natürlich auch wieder mit den höchstgerichtlichen Entscheidungen mit dabei sein!
Ja, so ist es. Gemeinsam mit Dr. Reiner und Hofrätin Dr. Lachmayer werden wir den traditionellen Jahresstreifzug durch die höchstgerichtlichen Entscheidungen präsentieren, ergänzt um Erkenntnisse des BFG.
WT: Man kann also nur empfehlen, auch diesmal wieder nach Seefeld zu kommen.
Genau! Neben den Fachvorträgen ist es auch ein großes Asset, sich mit der Kollegenschaft, aber auch mit den Vertretern der Finanzverwaltung austauschen zu können. Denn unser Beruf lebt von der Vernetzung und vom Erfahrungsaustausch. Gerade den jungen Kolleg:innen kann ich aus eigener Erfahrung raten, sich sukzessive belastbare Netzwerke zu knüpfen. Denn gerade das Steuerrecht ist aufgrund seiner Komplexität, der vielen Novellen und der Verzahnung mit anderen Rechtsgebieten ein äußerst breit gefächertes Themengebiet, das man in seiner Gesamtheit als Einzelner nicht mehr im Detail überblicken kann. Da ist es sehr hilfreich im Sinne der eigenen Qualitätssicherung, profunde Kooperationen zu haben und Zweitexpertisen bei heiklen Fällen einholen zu können. Seefeld ist der ideale Ort, um berufliche Kooperationen zu vertiefen und mit Steuer-Profis der unterschiedlichen Disziplinen ins Gespräch zu kommen. Und dann ist es natürlich einfach eine wunderschöne Veranstaltung vor der Kulisse der Tiroler Berge.
WT: Lieber Clemens, danke für Deine Einblicke!
Ich danke für das Interview und freue mich auf unser nächstes Gespräch in Tirol!.
Das Interview mit Dr. Clemens Endfellner führte VWT Landespräsidentin Wien Mag. Christina Hartig.